Martin G. Wanko
^ Für immer Nikon! ^  



KEN a crime story.
Erstes Kapitel

Jetzt bin ich einer von ihnen, soviel steht fest. Da gibt es eine nicht sichtbare Trennlinie, die man erst erkennt, nachdem man es tat. Nachhaltig erscheinende Trennlinien gibt es nicht viele im Leben. Ich gehöre ab nun zu den anderen, zu denen, die es machten, kein Weg soll mich jemals wieder zurückführen.

So sehr ich mich an meine neue Situation nicht gewöhnen kann, so schnell werde ich es müssen. Aber das war mir schon vorher klar, bevor ich es tat, also bitte, keine Zeit für faule Ausreden. Wider Erwarten nahm mich die Sache dennoch mit, unkontrollierte Schweißausbrüche, mein Hemd pickt an meinem Rücken fest, Stirn und Schläfen sind naß. Ein Windstoß aus der wieder aktivierten Klimaanlage kühlt mein Gesicht. Wische meine Stirn ab, betrachte meine salzkalten Hände, erinnern mich an eingelegte Fische auf dem Markt. Ich lege mich auf den cremefarbenen Marmorboden, die Abkühlung tut gut, drehe mich nach rechts, und betrachte mein Werk: Well done, nichts wird mehr sein wies einmal war.

Niemand weiß, daß ich jetzt zu den anderen gehöre, denn der eine der sah was ich tat, der liegt am Boden neben mir, der kann es keinem mehr flüstern. Abgesehen davon, daß ich jetzt zu den anderen gehöre, ändert sich nichts. Die dritte Zigarette danach schmeckt kaum schlechter als die zweite davor, und die Kotze in der Ecke des Zimmers riecht wie jede andere Kotze auch. Da ich immer kotze, wenn ich mich aufrege, und da diesen verschissenen Faden ja so und so nur ich sehe, ist ja doch alles besten, klar doch! Aber es stinkt. Die Kotze stinkt, und er stinkt mittlerweile auch, zumindest bilde ich mir das ein.
Ich stehe auf, meine Gelenke knacksen, greife über meine rechte Wange, der Steinboden hinterläßt einen feinen Strich auf meiner Haut, fühlt sich an wie eine hauchdünne nicht genähte Narbe. Ich betrachte sie im überdimensionalen Spiegel, sie ist weiß, und hebt sich vom übrigen Rot der Wange deutlich ab. Im Spiegelbild sehe ich meinen Schweißabdruck am Boden, besser gesagt den schweißigen Umriß meines Körpers, erinnert mich an tranceähnliche Zustände meiner Kindheit. Heiße Sommertage, an denen ich meine verschwitzte Haut auf den kühlen Balkontisch legte, im bläulich dunstigem Nichts mein Glück suchte. Unendliche Hitze, Licht - Schattenkollisionen, die durch den plötzlichen Lärm des Rasenmähers ein jähes Ende nahmen. Erschrocken reißt sich mein Fleisch vom Tisch, was zurückblieb sind diese fabelhaften Abdrücke. Eins, zwei, drei, sie waren verschwunden, die blaue, schwüle Hitze ist geblieben - Indochina denke ich jetzt. Nun drehe ich mich um, mein schweißiges Abbild löste sich in Luft auf.
So reglos er da am Boden liegt, so starr schaut er mir in die Augen, mein kleiner Ken, der Barbiepuppenlover. Seine bläulichen Augen, sein zartgeformter Mund, eigentlich sein ganzer Gesichtsausdruck fragt nach einem „Warum“. Sein Kindergesicht weiß keine Antwort. Warum ich das machte, will er wissen, als es doch gerade noch so nett war, als er mich abknutschte, besser gesagt, es versuchte. Schon mein flüchtiges Wegdrehen hätte ihn warnen sollen. Spätestens als er nach meinem Arsch griff, hätte ihm klar sein müssen, daß ich alles nur eines nicht will, arschficken! Ein letzter kurzer Blick in die Augen, und mein Maul stammelt etwas von Kohle. Ich verlasse den Raum, unvorsichtige fluchtartige Bewegungen, nicht unlaut, eine Vase zerberstet. Ich steige über sie hinweg, und pfeife kleine Melodien, von denen ich schon beim Pfeifen nicht einmal mehr weiß, welche es sind, und gleite nun doch elegant durchs Stiegenhaus. Frischluft, Freiheit, Adrenalin, und mein Walkman spielt „Lust for live“ von I. Pop. Ich lache, manche Leute sterben mit einem Kindergesicht.

<< Zurück zur Übersicht